(K)ein Weg hinaus
Eines dieser Kinder trägt ein nacktes Baby im Arm. Dann blicke ich in das Gesicht einer jungen Frau, die gekrümmt vor ihrer Hütte aus Müll kauert. Ihre Augen hoffnungslos. Fast leblos. Ich muss wegschauen.
Wo keiner leben sollte
In den Slums von Manila leben fast fünf Millionen Menschen. Wenn man das »leben« nennen kann. Hier hausen die Ärmsten der Armen. Die meisten von ihnen wurden in dieses Elend hineingeboren, sind im Müll und Gestank grossgeworden. Einen Weg heraus gibt es kaum, denn Bildung kostet Geld auf den Philippinen. Und mit dem Verwerten von Plastikflaschen und Reifen oder dem Verkauf von frittierten Essensresten aus dem Müll kommt gerade genug zusammen, um einen weiteren Tag zu überleben.
Wir besuchen unsere Sozialstation, die sich inmitten der Slums befindet. Hier werden täglich etwa 15 unterernährte Babys bis zum Nachmittag betreut und aufgepäppelt. So haben ihre Mütter eine bessere Möglichkeit, ihre anderen Kinder zu versorgen oder etwas Geld zu verdienen. Im zweiten Stockwerk findet zeitgleich der Unterricht für eine Gruppe von Vorschulkindern statt. Sie freuen sich riesig über unseren Besuch und singen uns sofort ein Lied: »I might be small, but my God is big, bigger than anything.« Ihr Strahlen untermalt die Botschaft. Ein Riesenkontrast zu der erdrückenden Stimmung im Slum, die wir eben noch verspürt haben. Diese Kinder haben eine Zukunftsperspektive und erfahren hier von Jesus, der sie sieht und liebt.
Weggeworfene Babys
»Schau mal, dieses Baby wurde heute von unserer Sozialarbeiterin im Müll gefunden. Es wird jetzt im Krankhaus behandelt und hat gute Überlebenschancen.« Carsten Aust, unser Mitarbeiter und Projektleiter, zeigt mir das Bild eines Neugeborenen. Noch mit Nabelschnur. Einfach weggeworfen, als würde es zum restlichen Abfall gehören. »Danke Herr, dass wir dieses Leben retten dürfen. Danke, dass es rechtzeitig gefunden wurde«, sagt er noch. Dann erzählt er uns, dass man auch in der Vorwoche ein Baby fand. Leider zu spät. Im Krankenhaus tat das kleine Wesen den letzten Atemzug.
Echte Liebe und Zuneigung
Unsere erste Nacht auf den Philippinen verbringen wir im House of Hope, einem unserer Projekte, mit denen wir der unvorstellbaren Not begegnen. Das Gebäude liegt umgeben von idyllischer Natur, fernab der Slums, den Gefahren und dem Lärm der Stadt. Kinder bis vier Jahren finden hier ein neues Zuhause. Die meisten sind Waisen oder traumatischen Verhältnissen entrissen. Auch die »entsorgten« Neugeborenen werden hierhergebracht. Im House of Hope leben sie zusammen mit ihren Ersatzmüttern. Diese Frauen investieren ihr Leben in die Kleinen: Sie versorgen sie, spielen mit ihnen und schenken ihnen echte Liebe und Zuneigung.
Am nächsten Morgen werden wir noch vor dem ersten Klingeln des Weckers vom Lachen und Rufen der Kinder wach. Sie sind früh auf und schon fleissig am Spielen und Entdecken. Auch ihre neuen Gäste begrüssen sie herzlich und strecken uns ihre Händchen entgegen, weil sie hochgehoben und auf die Schultern gesetzt werden möchten. Sie lachen fröhlich und unterscheiden sich nicht von anderen Kindern ihres Alters.
Ein selbstbestimmtes Leben
Dann machen wir uns auf den Weg zum Village of Hope. Nach jahrelangen Schulschliessungen wegen des Corona-Virus hat die Projektleitung entschieden, auf dem Gelände eine eigene Schule zu errichten. Diese wurde am Tag unseres Besuchs eingeweiht. Wir staunen darüber, wie schön und ordentlich die Gebäude und das Grundstück sind. Carsten berichtet, dass regelmässig Unterstützer aus dem Ausland kommen, die nicht nur spenden, sondern auch tatkräftig mit anpacken.
Kinder ab dem fünften Lebensjahr finden hier Aufnahme und werden begleitet, bis sie nach Ausbildung oder Studium selbstständig ihr Leben meistern können. Die Schule gibt den Kindern Bildung und damit eine Perspektive, als Erwachsene einen Beruf erlernen und ein selbstbestimmtes Leben ausserhalb der Slums führen zu können.
Schuleinweihung
Die grosse Aufregung ist spürbar. Die Kinder haben sich in ihre schönste Kleidung geworfen und zeigen uns stolz ihre schicke Garderobe. Am Mittag beginnt die feierliche Einweihung mit einer Ansprache und Lobpreis. Nach dem Essen können die Kinder endlich zeigen, was sie schon wochenlang geübt haben, und beeindrucken uns mit kreativen Tänzen und Gesangseinlagen. Und obwohl für heute die Regenwahrscheinlichkeit bei über 90 Prozent liegt, fallen die ersten Tropfen erst nachdem auch die letzte Klasse ihren Beitrag vorgetragen hat.
Noch Wochen nach unserer Rückkehr muss ich immer wieder an die Hoffnungslosigkeit und die Not in den Slums denken. Die Menschen dort erleiden wirklich die Hölle auf Erden. Ich bin dankbar, dass wir mit unserer Arbeit wenigstens einigen helfen können. Unsere Zentren bieten Schutz und ein Zuhause für mehr als 100 Kinder. Aber ich bete und hoffe, dass wir noch mehr Menschen einen Weg aus dem Elend heraus eröffnen und ihnen Gottes Liebe weitergeben können.