07. Februar 2022

Helfen als Herzensangelegenheit

RUMÄNIEN
Es ist nicht nur mein Wunsch, anderen Menschen zu helfen, sondern ein innerer Impuls – ein Bedürfnis - meine Aufmerksamkeit besonders denjenigen zu widmen, die keine Kraft, keine Möglichkeit haben, aus ihrer Not herauszukommen.

AVC, das Hilfswerk des Nachbarsdorfes
Knappe 5 Minuten brauchte ich, um mit dem Fahrrad vom Haus meiner Eltern in Meinisberg bis zum Hauptsitz des AVC im Industriegebiet von Safnern zu fahren. Viel näher hätte es nicht sein können. Aber erst vor kurzem realisierte ich, dass praktisch vor meiner Haustür schon seit x Jahren eine unglaubliche Arbeit geleistet wird, die Menschen in der ganzen Welt zugutekommt. Als Kind wusste ich, dass ein Familienvater aus der Nachbarschaft für einen guten Zweck arbeitet. Viele Jahre später wurde ich mir bewusst, dass dieser Mann, Hansueli Lauber, schon seit über 20 Jahren für genau dieses Hilfswerk arbeitet, von welchem ich als Kind gerade mal knappe 500 Meter Luftlinie entfernt wohnte. So unglaublich nah entstehen gute Impulse, die wiederum gute Taten weltweit unterstützen.

Helfen als Herzensangelegenheit
Ich habe ein Herz, das schlägt. Genauso wie alle anderen Bewohner dieser Welt. Ich bin überzeugt, dass alle Menschen zu einer Familie gehören. Wie andere auch, träume ich davon, dass jede Person in Freiheit ohne Gewalt ein selbstbestimmtes Leben führen kann.
Mich beschäftigt es, dass es immer noch unzählige Menschen gibt, die täglich ums Überleben kämpfen, ständig in Angst leben, von ihrem Zuhause vertrieben werden und tausende Kinder keinerlei Zukunftsperspektiven besitzen. Mein Herz schmerzt, wenn ich in meinem komfortablen, sicheren zuhause über leidende Menschen spreche, ohne jeglichen persönlichen Bezug zu ihnen und ohne reale Vorstellung davon, wie sie leben.
Es ist nicht nur mein Wunsch, anderen Menschen zu helfen, sondern ein innerer Impuls – ein Bedürfnis - meine Aufmerksamkeit besonders denjenigen zu widmen, die keine Kraft, keine Möglichkeit haben, aus ihrer Not herauszukommen. Weil ich jetzt helfen will und nicht erst morgen, habe ich mich für einen Einsatz mit AVC entschieden.

Anmeldung über Vorbereitung bis zum Einsatz
Im Mai 2021 erkundigte ich mich zum ersten Mal telefonisch über die Aktion Weihnachtspäckli. Ohne lange Zeit in einer Warteschlange zu verbringen, erhielt ich schnell die gewünschten Informationen. Ich wurde auf einer Liste erfasst, um dann zu gegebener Zeit alle weiteren Angaben zu erhalten.

Am 3. September war es dann endlich so weit. Ich erhielt das Anmeldeformular, wo ich nebst persönlichen Angaben auch die Wunschdestination für die Verteilaktion angeben konnte. Mit dabei war auch ein Dokument mit dem Titel «Code of Conduct». Dort waren 7 Punkte für den Verhaltenskodex aufgelistet, der zum Schutz anvertrauter Personen dient und unterzeichnet werden musste.

Nach eingereichten Formularen wurde ich bald mit dem Gruppenleiter in Kontakt gesetzt, damit ich mit ihm meine individuellen Reisevorhaben besprechen konnte.

Am 22. Oktober war dann das Team komplett, eine WhatsApp Gruppe wurde gebildet und wir erhielten von unserem Leiter die Einladung für ein Vorbereitungstreffen.

Am 19. November reisten wir 11 Teilnehmer unterschiedlichsten Alters vom Thurgau, Bern und sogar vom Walis und Tessin nach Lenzburg, um uns dort mit dem Gruppenleiter persönlich zu treffen. Wer kann sich vorstellen, im Einsatzland Auto zu fahren? Spielt jemand Gitarre oder ein anderes Instrument? Könnte jemand ein Zeugnis vortragen oder eine kleine Predigt halten? An diesem Abend erfuhren wir nicht nur einige Details über den persönlichen Hintergrund jedes Einzelnen, sondern versuchten auch eine Idee davon zu erhalten, was für nützliche Fähigkeiten und Talente in der Gruppe steckten. Es gab einige Informationen zu den noch bestehenden Vorbereitungen und was uns während der Verteilaktion ungefähr erwarten wird.

Aufgrund der Pandemie bestand bis zum Schluss eine gewisse Unsicherheit, ob die Aktion auch wirklich durchgeführt werden konnte. Kurz vor der Abreise änderten sich die Einreise-Bestimmungen von Rumänien, weshalb schlussendlich nur die Geimpften und die Genesenen einreisen durften. Aus diesem Grund stiegen am 14. Dezember 2021 nur 6 Leute in Basel ins Flugzeug. Ich entging dieser Einschränkung nur ganz knapp. Glücklicherweise reiste ich zwei Wochen früher selbständig über den Landweg nach Rumänien, wodurch ich trotzdem an der Aktion teilnehmen konnte.

Unsere Besuche und Begegnungen
Während neun Tagen waren wir täglich unterwegs. Von verschiedenen Kirchgemeinden, über ein abgelegenes Dorf, Schulen, Altersheim, Psychiatrie, Kinderheim, Kinderspital bis hin zu einem Gefängnis und einem Roma Dorf haben wir die unterschiedlichsten Orte besucht. Wir begegneten weder aufgeblähten Kinderbäuchen noch alten Leuten, die nur noch Haut und Knochen waren. Doch dafür erlebten wir andere Lebensschicksale.

Hier schildere ich nun eher eine düstere, bedrückende Momentaufnahme aus unserem Einsatz:
Einfache Hütten oder sollte ich Baracken sagen. Eine Familie, 6 Personen oder zum Teil noch mehr, die je nach dem auf einer Fläche von ungefähr 5x4 Meter wohnen. Einige Wohnungen wirken schmuddelig, chaotisch oder sind mit einem unangenehmen Geruch erfüllt. Ich begegne einer jungen Frau, gerade mal 19 Jahre alt, mit dem dritten Kind auf ihren Armen. Ihre, sowie die Bekleidung der meistern anderen ist bunt zusammengewürfelt, einfach, mit Gebrauchsspuren. Neben mir ein Kind ohne Socken, ohne Schuhe. Hier eine Frau mit löchrigen Jeans, darunter die nackte Haut. Und dort ein Mann mit einer Strickjacke als zweite und letzte Kleidungsschicht. Ich selbst bin mit vier Schichten, mit einer guten Jacke und gefütterten Schuhen, die der Kälte trotzen, warm eingepackt. Es sind zwei Nationen, zwei Kulturen, zwei Lebensschicksale, die in diesem Augenblick aufeinandertreffen. Aber für mich ist es mehr. Zwei Welten voller Gegensätze. Im Vergleich zu meinem gewohnten Lebensstandard sind diese Menschen in meinen Augen hier entsetzlichen und schwersten Lebensbedingungen ausgesetzt. Nach den paar Stunden, die ich dort verbracht habe, kann ich mir wohl nicht annähernd vorstellen, was es bedeutet, so zu leben. Was für diese Leute normal ist, ist mir fremd. Ihr Schicksal bedrückt mich. Haben diese Menschen, diese Kinder eine Chance auf ein besseres Leben? Ich fühle mich resigniert, machtlos und frustriert - irgendwie beschämt über diese unglaublichen Unterschiede in unserer Menschheitsfamilie.

Trübsal blasen und sich der scheinbar unveränderbaren Ungerechtigkeit unterwerfen macht die Situation jedoch auch nicht besser. Ich denke an die neugierigen, aufgeregten Kinder, die aufmerksamen Frauen und die hilfsbereiten Männer, denen wir im Roma Dorf begegnet sind. Immer wieder ein lachendes, fröhliches Gesicht. Während unseres Besuches herrschte eine lockere und heitere Stimmung. Ich glaube, es war für uns alle ein spezieller und besonderer Moment. Der lokale Partner erzählte uns, dass ihr Besuch vor vier Jahren ganz anders verlief - nicht so friedlich und gesittet wie diesmal bei uns. Eine Veränderung hat offenbar stattgefunden. Auch wenn wir nicht direkt feststellen konnten, wie nachhaltig der Einfluss unseres bescherten Augenblickes von Heiterkeit und Herzlichkeit war, die Erzählungen der geduldigen, beständigen Helfer vor Ort motivierten uns, ihre Arbeit zu unterstützen.

Zwei Geschenke
Unsere verteilten Pakete werden keine langfristige Hilfe sein. Die Weihnachtsgeschenke sind vergänglich. Irgendeinmal ist die Schokolade aufgegessen, die Seife verbraucht und der Schreibblock vollgekritzelt. Auf diese Tatsachen hatte unsere Verteilgruppe immer wieder aufmerksam gemacht und in Erinnerung gerufen. Wir waren ehrlich und teilten mit, dass unsere materiellen Geschenke aus der Schweiz Dinge enthalten, die nur für einen begrenzten Moment eine besondere Freude bescheren können. Was aber geschieht, nachdem dieses Weihnachtsglück aufgebraucht ist?

Das zweite Geschenk, wie wir es nannten, ist die Botschaft von Jesus. Es sei der Glaube, der neue Perspektiven eröffnet, Hoffnung schenkt und sie immer tragen wird, egal in was für einer schweren, aussichtlosen Lage sie sich befinden.

Die Sache mit dem Glauben
Was, wenn ich (noch) nicht überzeugt bin, dass Jesus Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist? Darf ich dann trotzdem einen Einsatz mit dem AVC machen? Wie soll ich das Evangelium austragen, wenn ich (noch) ein undefiniertes Verhältnis zum Glauben habe? Akzeptiert mich der AVC so wie ich bin, auch wenn ich nicht bei jeder seiner Zielumsetzungen Unterstützung bieten kann?

Die klaren Worte des AVC schreckten mich zuerst etwas ab, bzw. verunsicherte mich.
Es war ein Hin und Her von Gefühlen und Gedanken, ob ich mir einen Einsatz mit AVC zutrauen, dahinterstehen kann und überhaupt akzeptiert werde. Meine Erfahrung zeigt: Der Glaube ist nicht das einzige Kriterium, aber in der Zusammenarbeit mit AVC und seinen Helfern und Partnern sehr präsent und spielt durchaus eine zentrale Rolle. Sicher wurde ich mit Aussagen und Meinungen konfrontiert, die sich für mich zum Teil etwas befremdend anfühlten. Ungewohnt. Neu. Aber ich wurde nicht dazu gedrängt zu evangelisieren oder ein persönliches Zeugnis zu erfinden.

Ich weiss nicht, wie es andere Gruppen gemacht haben, aber bei uns konnte sich wirklich jeder mit seinen Stärken und Fähigkeiten sehr individuell und nach eigenem Ermessen einbringen. Ich fühlte mich von der Gruppe liebevoll aufgenommen und akzeptiert, auch wenn ich nicht überall in gleicherweise mitsprechen konnte. Persönlich empfand ich es als wunderschöne Erfahrung, Teil dieser Gruppe zu sein, und die Möglichkeit erhalten zu haben, mitanzupacken. Ich bin froh, diesen Schritt gewagt und mich auf dieses erste Projekt eingelassen zu haben. Auch wenn ich mich nicht mit allen Arbeitsschwerpunkten gleichgut identifizieren kann, so bin ich sehr dankbar für all die Begegnungen und Erlebnisse, die ich durch und mit AVC erleben durfte.

Geraldine M.




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