AVC Äthiopien Christenverfolgung
08. November 2019

Alles wieder beim Alten

ERITREA
Das historische Ereignis weckte vor einem Jahr große Hoffnungen. Diese liegen nun zerschlagen am Boden.

Die Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen Äthiopien und Eritrea kam überraschend. Die Grenzen wurden geöffnet. Der Handel begann zu florieren, wie wir es noch nie erlebt hatten. Die landesweite Begeisterung schwappte buchstäblich über. Wir konnten uns frei über die Landesgrenzen bewegen und seit Jahren getrennte Familien wurden vereint. Als Christen hofften wir auf ein Ende der Haft unserer Schwestern und Brüder und der Restriktionen unserer Versammlungsfreiheit.

Im Dezember 2018, vier Monate nach dem Friedensvertrag, geschah das Unfassbare: Die Grenzen wurden geschlossen. Warum, weiß niemand. Die früheren Zustände samt allen Einschränkungen und Widrigkeiten, waren plötzlich wieder da. Nur viel schlimmer. Die Preise explodierten, und die Not ist heute größer als je zuvor. Die Situation verschärft sich von Tag zu Tag. Die menschliche Hoffnung auf Freilassung unserer seit Jahren inhaftierten christlichen Freunde ist dahin. Unsere einzige Hoffnung ist, dass Gott massiv eingreift und endlich Freiheit schafft. Diese scheint wieder weit in die Ferne gerückt. Im Mai sind auf einen Schlag 150 Christen verhaftet worden, wovon erst zwanzig wieder auf freiem Fuß sind. Einer von ihnen ist Semere*.

Semere, stell dich doch bitte kurz vor.

S: Ich bin 36. Nach meinem Landwirtschaftsstudium hatte ich keine Arbeit und bin in den Elektrofachhandel eingestiegen. Meine Familie ist traditionell koptisch-orthodox, und wir meinten, mit dem Evangelium vertraut zu sein. Doch dann habe ich mich entschieden, Jesus nachzufolgen.

Wie ist es denn dazu gekommen?

Ich habe mehr und mehr den Unterschied zwischen Tradition und dem wirklichen Evangelium begriffen. Wir wurden gelehrt, zu tun, was der Priester vorschreibt: Leben nach starren Regeln, die uns an die Kirche binden. Regeln, die uns davon abhalten sollten, ein schlechtes Leben zu führen oder gar in der Hölle zu brennen. Auf meine drängendsten Fragen habe ich jedoch keine Antworten erhalten: Wozu bin ich überhaupt da? Wie werde ich meine Schuld los?

Was ist heute anders?

Heute weiß ich, dass ich mich nicht auf mich selbst, auf das Einhalten von Regeln, verlassen kann. Jesus hat mein Schuldproblem durch seinen Tod am Kreuz erledigt. Ich lese regelmäßig in meiner Bibel und lerne Gott immer besser kennen. Das hilft mir, Christsein praktisch zu leben und auch andere Menschen darin anzuleiten.

Und das ist mit einem hohen Risiko verbunden!

Ja. In unserem Land herrscht eine massive Christenverfolgung. Unseren Glauben öffentlich zu praktizieren ist streng verboten. Das hat die Christen hier jedoch nie davon abgehalten, ihren Auftrag auszuführen. Deshalb bin auch ich 2006 zum Glauben an Jesus gekommen. Die Kirchen waren zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Jahren geschlossen, die Christen im Untergrund.

Deine Risikobereitschaft hat dazu geführt, dass du verhaftet worden bist.

Ja. Im Mai haben zwölf von uns an einem ganz normalen Gottesdienst mit anderen Christen teilgenommen. Obwohl es verboten ist, sich als Christen zu treffen, gemeinsam zu beten, einander im Glauben aufzubauen, uns Mut zu machen und für unser Land zu beten. Im Gegensatz zu unseren Behörden können wir darin keine kriminelle Tat sehen. Doch jedem von uns ist klar, wie fatal solche Events enden können. Denn Verfolgung ist uns vertraut. Viele unserer Leiter haben schon Jahre in Haft verbracht. An jenem Abend stürmten während des Schlussgebets plötzlich Polizisten und Soldaten in unseren Raum. Sie verlangten, solche Zusammenkünfte für immer bleiben zu lassen, verfrachteten uns auf einen LKW und brachten uns nach Asmara ins Gefängnis.

Wie ist es euch dort im Gefängnis ergangen?

Gott schenkte es, dass wir alle zwölf gemeinsam in eine Zelle gesteckt wurden. Es war uns klar, dass viele Jahre der Gefangenschaft vor uns liegen konnten. Wir sorgten uns um unsere Familien, Jobs etc. Doch wir ließen uns den Mut nicht rauben und nahmen den geistlichen Kampf auf. Wir proklamierten jeden Bibeltext, der uns einfiel, um uns zu Kühnheit im Glauben anzuspornen. Wir lobten Gott und fühlten uns ein wenig wie ein Daniel in der Löwengrube. Dann brachen wir zur Erkenntnis durch, dass wir nicht Opfer sind, sondern Privilegierte, die ein ähnliches Schicksal erlitten, wie die Apostel in der Bibel und unsere Väter im Glauben.

Ist eure Entschlossenheit irgendwann ins Wanken geraten?

Bei den Verhören war dann jeder auf sich allein gestellt. Es ging dabei ausschließlich um den »Frevel«, aktiver Christ zu sein und uns zu versammeln. Unter Drohungen wurde uns befohlen, damit aufzuhören. Doch jeder von uns blieb standhaft, selbst angesichts der Aussicht, den Rest des Lebens in Gefangenschaft zu verbringen. Diese »Sturheit« brachte dann die Polizisten die Wände hoch. Weil sich keiner von uns einschüchtern ließ, wussten sie schließlich nichts mehr mit uns anzufangen und ließen uns nach einigen Wochen wieder frei. Warum gerade wir freigelassen worden sind und andere nicht, bleibt für uns ein Rätsel. Jedes Gefängnis scheint seine eigenen Regeln und Gepflogenheiten zu haben.

Wie geht es jetzt weiter?

Verfolgung gehört zur Nachfolge von Jesus – besonders auch in Eritrea. Das haben wir am eigenen Leib erfahren. Aber das darf uns niemals davon abhalten, unserem Auftrag nachzukommen und möglichst viele Menschen für das Reich Gottes zu gewinnen. Darin besteht unser größtes Glück.

* Name zur Sicherheit nicht genannt bzw. geändert

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